Generation Web2.0 (Teil 1)

Viktor Dite, Autor des Beitrags

Von - Publiziert in Featured
Dipl. Informatiker und Tech-Blogger seit 2006.


Web 2.0 Freunde auf Facebook, Twitter und Co - Ritsch Renn
mit freundlicher Genehmigung von ritsch-renn.com

…oder wie die computervermittelte Kommunikation im Zeitalter des Web 2.0 das Private immer mehr ins Öffentliche stellt.

Im 18. Jahrhundert definierte man ein zivilisiertes Gespräch als eine Situation, in der die privaten Belange und die persönlichen Lebensumstände nicht thematisiert wurden. Diese Konvention erlaubte eine uneingeschränkte Geselligkeit, die kleine hässliche Geheimnisse verborgen hielt und niemanden mit diesen belästigte. Rang und Staatsunterschiede waren damit zeitweilig ausser Kraft gesetzt um den freien Gesprächsfluss nicht zu hemmen. Solche Umgangsformen schufen eine gewisse öffentliche Distanz, die Privates vom Öffentlichen strikt trennten.

Mitte des 19. Jahrhunderts transformierten die kommunikativen Bedürfnisse des Menschen. Cafes, Straßen und öffentliche Plätze mutierten zu Orten öffentlich zur Schau gestellter Privatheit. Menschen saßen schweigend oder lesend, versunken in ihre Gedanken und waren wie durch unsichtbare Mauern voneinander getrennt. Der zuvor so interagierende Mensch verwandelte sich in einen bloßen Zuschauer, der hinter seinem Schweigen geschützt das öffentliche Leben beobachtete.

„Wenn wir nur eine halbe Chance sehen, stopfen wir in einem Café den Sitz neben uns mit Regenmänteln und Regenschirmen voll, starren im Wartezimmer des Arztes unablässig auf Plakate zum Thema Masern … Alles, nur nicht zu einer Begegnung einladen; alles nur um nicht verwickelt zu werden. […] Die Bauweise öffentlicher Verkehrsmittel trägt dieser gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung. Das Design von Eisenbahnwagons, Reisebussen und Flugzeugen lässt die Passagiere auf den Nacken anderer Reisender starren, so dass niemand befürchten muss, in ein Gespräch oder eine Begegnung verwickelt zu werden.“ [2]

Sitzen wir in einem der moderneren Busse, in denen die Sitze zu vierer Gruppen gerichtet sind, fühlen wir uns unwohl und beobachtet, starren ständig auf die Straße oder in den Gang des Fahrzeugs, bloß nicht „auffallend“ lange in die Richtung eines Mitreisenden oder gar in die Augen der Anderen.

„Das Zusammensein vom Typ Passagier gedeiht in einer Komplizenschaft des Schweigens, und lautes Reden durchbricht die schützende Hülle der Verschwörung“ [2]

Interessant ist hingegen die Entwicklung des öffentlichen Raums im Web2.0. Dort entblößt sich der gerade noch still und unauffällig im Bus sitzende, oder in einer Privatkapsel — genannt Auto — vom Rest des urbanen Kontextes getrennte Cybernaut in sozialen Netzwerken. Wer viel von sich preisgibt, wirkt interessant und wird um so häufiger referenziert. Mensen, Hörsäle und schwarze Bretter, Unizeitungen und Studentenkneipen, alles wandert in das Web2.0.

Auf einmal sind wir wieder nicht nur passive Zuschauer, sondern kreative und mitteilungsbedürftige Gestalten, die sich fortwährend austauschen wollen — So twittern wir alles was wir tun und belasten damit Andere mit unserer belanglosen Privatheit. Werfen damit die Werte eines zivilisierten Gesprächs im 18. Jhd. gründlich über den Haufen, obwohl wir auch nicht die passive Stille des 19. Jhd. hinnehmen wollen. Wir spielen die eigene Daily Soap mit uns als Protagonist, Regisseur und Star und wollen Teil sein von etwas viel größerem als uns selbst.

Doch Warum tun wir das? Ist es die normale evolutionäre Entwicklung der Kommunikationsform zwischen Menschen? Mutiert unser Miteinander genau so wie vom 18. ins 19. Jhd.? Oder mischen sich beide Umgangsformen zu einem Hybriden?

Literatur:

[1] „Ich im Internet — Wie sich die Menscheit im Internet entblößt“, Der Spiegel, Nr. 29, 2006
[2] Chatroom statt Marktplatz — Identität und Kommunikation zwischen Öffentlichkeit und Privatheit“, Ilka Willand, Kopaed 2002
3] „Leben im Netz — Identität in Zeiten des Internet”, Sherry Turkle, ro 1995
[4] „Digitale Medien in der Erlebnisgesellschaft”, Roberto Simanowski, ro 2008
[5] „Das digitale Nirwana”, Bernd Guggenberger, Rotbuch 1997

Dies ist ein Ausschnitt aus meinem Exposé für die abschließende Prüfung in Medienwissenschaften.


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